Regenschirme sind wie Gummibären

Es regnet. Nicht nur vereinzelte Tropfen oder ein bisschen nieseln. Es giesst aus Kübeln. Obwohl es bereits 7:30 Uhr ist, ist es draussen immer noch schwarze Nacht.

Typischer Herbst. Die Blätter sind gelb und rot, der Herbstwind wird auch noch kommen und das mühsame zusammenkratzen der Blätter steht nächsten Samstag auf der Todoliste.

All dies stört jedoch weder den Arbeitgeber noch die Frau Lehrerin. Der Schulhausgong klingt im Sommer und Winter und die Auftraggeber wollen ihre Projekte fristgerecht. Obs regnet oder schneit, ob bitterkalt oder höllisch warm der Weg zur Schule und zum Bahnhof ist pflicht.

„Papi, kann ich deinen Schirm nehmen?“

„Nein. Du hast deinen eigenen.“

„Aber der ist ein bisschen kaputt.“

„Ja eben, ich möchte meinen noch ganz haben.“

Kleiner Einschub. Schirme sind wie Süssigkeiten; sie sind sehr schnell weg und Kinder lieben sie. Die zweite Eigenschaft führt dazu, dass sie auch sehr schnell kaputt sind.

In Gedanken male ich mir aus, wie der Schirm auf dem Weg malträtiert wird: Fetzen in einem Busch hängenbleiben, ausgestochene Augen, verbogene Stäbe. Ein sehr fragiles Geschöpf diese Schirme.

Die Antwort bleibt: Nein. Ich möchte auch in Zukunft noch Freude an diesem Schirm haben, den ich buchstäblich mit meinem Blut bezahlt habe.

Aber halt: Ich könnte den Schirm nützen. In der einen Hand das Lenkrad in der anderen der Schirm kurve ich zum Bahnhof. Der Regen hat mittlerweile nachgelassen und die Schirmdiskussion hätte sich erübrigt. Stolz und trotzig stehe ich die eine Minute bis Zugseinfahrt absichtlich nicht unter dem Perrondach und lausche freudig dem den Tropfgeräuschen.

Der Zug fährt ein, ich verfalle in den Zombiemodus: Einsteigen, mobiles Büro aufschlagen, arbeiten, mobiles Büro abbauen, aussteigen.

DER SCHIRM

liegt einsam und verlassen auf dem Sitz des Interregio Expresses, während ich in der S-Bahn in Richtung Langnau fahre. Die kleine Liebesstory hat nach genau 45 Minuten ein abruptes Ende genommen.

Die Moral der Geschicht: Wirklich besser sind wir Erwachsene nicht. Ein bisschen Nachsicht und ich wäre wahrscheinlich noch in Besitz meines Schirms (vielleicht).