Die Spinne Fridolin – Die andere Weihnachtsgeschichte

Fridolin ist für seine Verhältnisse ganz normal. Unscheinbar lebt er in einem Stall in einem weit entfernten Land. Klein und süss finden sein Eltern, doch jedes mal wenn die gute Frau aus dem Nachbarshaus in den Stall kommt, wo Fridolin wohnt und sie ihn sieht, kreischt sie zetermordio.

„iiiiiiiiiiiiiiiii, eine Spinne“, gellt es durch die ruhige Abendluft und schon fuchtelt sie wild mit dem Besen durch den Stall. Fridolin hat sich schon längst in einen Spalt verkrochen.

Fridolin ist ein Weberknecht. Einen Stecknadelgrossen Bauch mit 8 langen dünnen Beinen.

Auch die kleinen Nachbarsmädchen, welche manchmal in den Stall gehen, um die Pferde zu striegeln sind keine Spinnenfans. Sobald sie Fridolin erblicken flüchten sie kreischend aus dem Stall. Man könnte meinen, ein Bär wäre hinter ihnen her.

„Dabei kann ich doch gar niemandem etwas tun“, denkt sich Fridolin. „Eher sollte ich Angst vor ihnen haben als umgekehrt. Was stimmt nur mit mir nicht?“

So hängt er oft in der Ecke des Stalls, grübelt vor sich hin und macht sich Sorgen darüber, was die anderen von ihm denken. Auch das gute Zureden seiner Eltern kann da nur wenig helfen.

Plötzlich geht die Stalltüre auf. Ein fahler Lichtstrahl erleuchtet das Innere. Durch die Tür watschelt eine dicke Frau, gefolgt von ihrem Mann, der sie liebevoll stützt und einem Esel. Gespannt beobachtet Fridolin die sonderbare Gruppe. Behutsam bettet der Mann die Frau ins weiche Stroh und deckt sie mit seinem Mantel zu.

Es wird still im Stall.

Alle schlafen. Es liegt eine andächtige Atmosphäre in der Luft und die regelmässigen tiefen Atemzüge der beiden Menschen machen Fridolin müde. Schliesslich fällt Fridolin in einen tiefen Schlummer. Er träumt, wie er von den Menschen bewundert wird. Wie er durch schöne Häuser schreitet und von den Menschen bejubelt wird. Wir er sich elegant von einer Zimmerwand zur anderen schwingt und dabei die kleinen Kinder verzückt. Fridolin der Held.

Ein Babygeschrei lässt Fridolin aus seinem Schlaf fahren, oder wieder nur ein Traum? Nein, diesmal ist es real. Die Frau die eben noch friedlich im Stroh schlummerte hält jetzt ein kleines Kind in den Armen.

Verwundert schaut Fridolin dem liebevollen Treiben zu. Der Mann schaut das Kind und die Frau verträumt und glücklich an und dann geht schon wieder die Türe auf.

Fridolin kann sein Glück kaum fassen. So viel Aufregung hat es in den letzten 2 Wochen nicht gegeben. Der Schlaf verlässt in vollends und gebannt schaut er zur Türe, wer jetzt noch kommt.

Herein kommen 4 grosse Hirten und ein kleiner Hirtenjunge. Sie knien sich vor dem Kind nieder. Auch der kleine Junge. Während die Hirten gedämpft miteinander plaudern wird es dem Jungen langweilig. Er zupft vorsichtig am Rockzipfel seiner Mutter, bohrt mit einem Strohhalm in der Nase und wackelte leicht mit seinen Ohren.

Plötzlich schaut der Junge direkt zu Fridolin hoch. Seine Augen fangen an zu leuchten. Vorsichtig streckt der Junge die Hand aus und umschliesst Fridolin mit seinen kleinen Fingern. Es wird dunkel und eng. Angst steigt in ihm auf. Hätte er lieber wegrennen sollen?

Ein erlösender warmer Lichtstrahl erhellt seine warme Höhle und Fridolin blickt in zwei grosse braunen Augen, die ihn neugierig beobachten. Man könnte schon fast sagen diese Augen bewundern ihn.

Die langen eleganten Beine, die sich in einer gekonnten Harmonie bewegen. Die perfekten Rundungen des Körpers und das lautlose Fortbewegen. Es scheint als schwebe Fridolin.

Der Junge schaut ihm zu, wie er mit seinen 8 Beinen über seine Hand gleitet, wie er Slalom durch seine Finger macht, wie er von einer Hand zur anderen springt. Fridolin wird übermütig und zeigt ein wahres Ballet.

Die Minuten verstreichen scheinen zu Stunden zu werden. Der Junge ist fasziniert.

Alles hat ein Ende.

Behutsam stellt der Junge Fridolin wieder in seine Ecke im Stall, von wo er ihn aufgenommen hat. Auch seine Eltern wenden sich langsam ab vom Kind, welches im Stroh liegt.

Alles ist wieder ruhig und wird nur vom gleichmässigen Atmen der Menschen untermauert. Fridolin ist überglücklich. Endlich jemand, der sich an ihm erfreut hat. Endlich jemand, der nicht schreiend davon gelaufen ist. Endlich jemand, der ihn einfach so nahm wie er ist, auch wenn er so ganz anders ist als die Menschen.

Ein unvergesslicher Abend neigt sich für Fridolin seinem Ende entgegen. Ein Abend von dem die Welt noch tausende von Jahren später sprechen würde. Ein Abend der in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Glücklich und zufrieden schläft Fridolin ein. Er würde diesen Abend nie vergessen, an dem ihm jemand Beachtung geschenkt hat.