Was sind schon läppische 100’000.-

Freitag Nachmittag. Nach einer anstrengenden Woche ist das Wochenende in Griffnähe. Check. Ich sitze im richtigen Zug. Nichts (ausser einer Fahrleitungsstörung oder eine Stellwerkstörung) kann mich noch davon abhalten, meinen rauchenden Kopf in einem entspannendem Wochenende mit der Familie zu verlüften.

Der Rauch kommt vom Zahlen jonglieren. Hier eine Million mehr, da eine Million weniger und trotzdem noch über dem Projektbudget. Erstaunlich, wie einfach sich mit Geld arbeiten lässt, wenn es nicht mir gehört. Was sind da schon 100’000.- mehr oder weniger. Gemessen am Gesamtbudget kratzt es nicht einmal an der 1% Marke und daher kaum der Rede wert.

Im Verhältnis eine minimale Summe. Absolut gesehen eine riesige Summe; zumindest für mich. 100’000.- entspricht

  • dem Eigenkapital einer Hypothek für ein Einfamilienhaus
  • 1 VW T5 plus dazu ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub
  • Einen Porsche 911
  • Einer einjährigen Weltreise mit der ganzen Familie
  • 100 iPhone 7, 128 GB
  • Die Krankenkassenrechnung für die nächsten 40 Jahre bezahlen

Aber nein, nicht der Rede wert, es ist nicht einmal 1% des Budgets. Ob der Investmentbanker genauso denkt, wenn ich mein kleines Sparschwein vorbeibringe? Ob der General genauso denkt, wenn er die Soldaten in den Krieg schickt? Was denkt sich ein Arzt, wenn er die Sterberate einer Abteilung überprüft?

Ist einfach mit dem Finger auf andere zu zeigen, aber wenn ich in der Zeitung lese, dass die Selbstmordrate läppisch 0.0112% beträgt, mache ich mir keine Gedanken darüber. Was sind schon 0.0112 %, eigentlich reicht es auch 0.01 zu sagen, denn die abgerundeten 0.0012% machen den Kuchen nicht fett. Aber, 0.0112% entspricht 14 Suizidfällen in der Stadt Bern (jährlich), entspricht 896 Menschen in der Schweiz, welche vorzeitig ihr Leben beenden. Aber nicht so schlimm, es sind lediglich 0.0112%.

Ich will kein schlechtes Gewissen machen. Ich glaube, diese Vereinfachung und Relativierung ist sogar notwendig, ansonsten würden wir kaputt gehen, aber zwischendurch ein Blick aus der Distanz lohnt sich allemal. Wenn ich direkt betroffen bin, dann scheinen auch die 0.001% brutal, schlimm und ungerecht und 90% scheinen akzeptabel, wenn es fernab ist.

Ich glaube absolute Zahlen zu sehen helfen zwischendurch mal zu schätzen was ich habe.

Ein furchtbarer Sturm kam auf. Der Orkan tobte. Das Meer wurde aufgewühlt und meterhohe Wellen brachen sich ohrenbetäubend laut am Strand.

Nachdem das Unwetter langsam nachließ, klarte der Himmel wieder auf. Am Strand lagen aber unzählige von Seesternen, die von der Strömung an den Strand geworfen waren.

Ein kleiner Junge lief am Strand entlang, nahm behutsam Seestern für Seestern in die Hand und warf sie zurück ins Meer.

Da kam ein Mann vorbei. Er ging zu dem Jungen und sagte: „Du dummer Junge! Was du da machst ist vollkommen sinnlos. Siehst du nicht, dass der ganze Strand voll von Seesternen ist? Die kannst du nie alle zurück ins Meer werfen! Was du da tust, ändert nicht das Geringste!“

Der Junge schaute den Mann einen Moment lang an. Dann ging er zu dem nächsten Seestern, hob ihn behutsam vom Boden auf und warf ihn ins Meer. Zu dem Mann sagte er: „Für ihn wird es etwas ändern!“