Meine Karriere als Trailrunner … dachte ich

Meine Laufkarriere reicht viele Jahrzehnte zurück. Irgendwann in die Läufergruppe der Schule besucht und bin einmal wöchentlich laufen gegangen und habe dementsprechend auch an den Läufen der Region teilgenommen. Irgendwie hat es Spass gemacht. Je älter ich wurde, desto spärlicher wurden die Trainings und so richtig hat es mir nie den Ärmel reingezogen. Von einer Sucht gar nicht zu sprechen. Zwar habe ich den GP absolviert, bin auch mal einen Marathon gelaufen und auch die Medaille für die erfolgreiche Bestehung des 100 km Laufs hängt in „meiner Vitrine“. Dennoch. Wirklich regelmässig gelaufen bin ich nie. Es war immer eine Ad-Hoc Übung mit viel zu kurzer Vorbereitungszeit (oder zu wenig disziplinierter) und dementsprechenden Qualen während und nach dem Event.

Seit ich einen neuen Trainingspartner, eine Jogging GPS Uhr habe, bin ich viel motivierter, um draussen ein paar Kilometer abzuspulen, was ich in den letzten 2 Wochen auch fleissig gemacht habe. Was für eine Freude, wenn das kleine Gadget mir verkündet, dass meine Form gestiegen ist. Hurra. Ich träume schon lange von einer „Karriere“ als Trailrunner: Durch die Berge über Stock und Stein rennen, das wunderschöne Panorama geniessen und dabei die Bergwelt viel intensiver und vielfältiger erleben als es die langsamen Wanderer tun. Anstatt mühsam einen Gipfel zu erklimmen würde ich ganze Bergketten in einer Tagestour spielend leicht überwinden, dabei Gämsen und Steinböcke beobachten und am Abend genüsslich die Füsse im kalten Brienzersee abkühlen lassen.

Nach meinen zwei Wochen Training fühle ich mich bereit. Seit Jahrzehnten fahre ich regelmässig am Niesen vorbei. Majestätisch thront er über dem Brienzersee und ist für mich der Inbegriff fürs betreten des Berner Oberlands. Man sagt, dass man von hier oben einen herrlichen Ausblick über das Mittelland hat. Hier oben brennt immer am 1. August ein grosses Höhenfeuer, was von weitem zu sehen ist. Trotzdem: Ich war noch nie hier oben! Nie. Und für dieses Jahr habe ich es mir vorgenommen.

Der Zeitpunkt scheint ideal. Keine Wolke am Himmel und der Wetterfrosch prophezeit einen heissen Tag. Da ich eh noch ins Berner Oberland muss kann ich beides Verbinden und muss den Weg nur einmal machen. Schnell hochjoggen und wieder runter und dann weiter. So in etwa war der Plan. Ich plane eine erste Tour mit Walking Stöcken, welche ich sonst nur von alten Grosis kenne. 3 Banen, eine Tafel Schokolade und Wasser. 

Ich Renne los. Bereits nach 100m verfalle ich in schnelles „wandern“ bei Puls von 170. Der Weg ist derart Steil. Ich frage mich, ob die Profil-Trailläufer hier rennen würden? Einfach immer weiter nach oben. Gefühlt bewege ich mich im Schneckentempo voran. In meiner Vorstellung, war das viel eleganter und leichtfüssiger, aber jetzt hier am steilen Berg spüre ich vor allem das Gewicht des Rucksacks, der mich unbarmherzig nach unten zieht. Zum Glück überhole ich immer mal ein paar Wanderer: Ganz so langsam bin ich also doch nicht. Das motiviert.

Ich überschreite die Baumgrenze und sehe bald einmal den Gipfel. Er ist in Sicht! Zu meinen Füssen glitzert der Thunersee. Ein herrliches Panorama, welches ich im Moment noch nicht so recht geniessen kann. Nur der Gipfel zählt. Dann endlich geschafft. 2 h 32 Minuten. Einen Rekord ist es nicht. Sicher nicht. Ein älterer Herr kommt 5 Minuten nach mir an und ich frage mich nach seiner Zeit: 2h 10 Minuten, aber er hat die lange, dafür nicht ganz so steile Strecke gewählt und ist überhaupt nicht zufrieden damit: „Das isch nüt.“

Aussicht auf den Thunersee

Ich verschnaufe ein wenig und mache mich dann wieder an den Abstieg. Ich entscheide mich für den weiteren dafür ein bisschen flächeren Weg (zumindest oben). Endlich: Wie eine Gämse springe ich über die Weide, weiche elegant Steinen und Pfützen aus und setzte die Stöcke ein. Das es leicht abschüssig ist, läuft es sich wie von selbst. So habe ich es mir vorgestellt. Bald wird auch hier der Weg so steil, dass die Leichtfüssigkeit schwindet und ich mich wie ein Häftlimacher auf den Weg konzentrieren muss. Und es wird heiss. So richtig heiss. So 33° C heiss. Bald einmal bin ich KO und bei der nächsten Gabelung entscheide ich mich für den kürzesten Weg: Nur noch so schnell wie möglich runter.

Ziemlich erschöpft komme ich bei der Talstation an. Meine Uhr informiert mich, dass das heute eine Überbelastung war: Danke, das habe ich auch gemerkt. Die Beine brennen, als würde ein Gift durch die Adern fliessen. Ernüchternd muss ich mir eingestehen, dass die 2 Wochen Training wohl doch noch nicht den erwünschten Trainingseffekt gebracht haben (ja ja, war mir schon auch klar) und die Tour wahrscheinlich noch ein bisschen zu  früh angesetzt war. Aber hey: Ich habe es durchgestanden. Sicher hätte ich noch 2 Monate trainieren können (oder auch 2 Jahre) und gewiss wäre dann genau an dem Tag schlechtes Wetter gewesen oder sonst ein unvorhergesehenes Ereignis.

Den richtigen Moment gibt es nicht und wird es vielleicht nie geben. Man könnte immer mehr und schneller. Ich werde nie einen Weltrekord über 42 Kilometer aufstellen, weil ich weder die Physiologie noch die Ambitionen dafür habe. Aber ich glaube, dass es das beharrliche Arbeiten an einem Ziel ist, was uns Menschen weiterbringt. Mich beeindrucken Menschen, die anstatt reden machen. Anstatt Pläne für eine ferne Zukunft schmieden, gross und breit darüber reden und viel heisse Luft verteilen, im Hier und Jetzt leben und handeln. Apple hat aus einer Garage seine ersten Computer verkauft, Richard Bronson aus einem Kellerstudio die erste Firma gestartet und so noch viele andere heute erfolgreiche Gründer. Sie haben nicht auf die perfekte Firma gewartet, dass sie plötzlich aus dem Himmel fällt, sondern sich die „perfekte“ Firma gebaut.

Genau dieses Lebensmotte möchte ich beherzigen: Im Hier und jetzt leben, etwas versuchen und wagen anstatt darauf warten, dass sich die Umstände wundersam zu meinen Gunsten ändern. Oftmals ist es doch eh nur ein Zeichen von Faulheit und eine nützliche Ausrede: „Ich bin nicht fit genug“, „Ich habe nicht die richtige Ausrüstung“, „Das Wetter ist schlecht“ etc. Dann wollen wir doch mal schauen wie lange die Motivation fürs Training hinhält und ob es eine zweite Version vom Schweizerpapi als Trailrunner gibt.